Berichte

  Brückenhofmuseum

Donnerstag, 01. Januar 1970
Ehrung von Wilma Groyen als "Gerechte unter den Völkern"
Mit Grußwort von Dr. Ralph Giordano
Ralph Giordano
Foto: Frank Homann 11/2007
Die Urkunde
V.r.: Günther Steeg, Ruth von Essen (Tochter von Wilma Groyen) und ihr Mann
Die Medaille.
1987 nach der Vorstellung des Fernsehfilms "Die Juden von Königswinter": (v. l.) Wilma Groyen, Martha Steeg, Ruth Dekker, Ralph Giordano, Hilde Homer, Dr. Manfred v. Rey, Joan Cahn
Grußwort von Dr. Ralph Giordano

Mit Genugtuung, Freude und tiefer Anteilnahme höre ich, dass die Königswinterer Bürgerin Wilma Groyen am 7. Oktober 2008 in der Berliner Botschaft des Staates Israel als „Gerechte unter den Völkern“ von Yad Vashem geehrt worden ist - für die Rettung von Frau Martha Steeg und Sohn Günther.

Die Geschichte dieser Bewahrung von Menschen vor dem jederzeit möglichen Gewalttod, bei gleichzeitig schwerem Risiko für das eigene Leben, erschüttert mich umso mehr, als meine eigene Familie und ich wegen meiner jüdischen Mutter in einer sehr ähnlichen Situation waren und den Wettlauf zwischen „Endlösung der Judenfrage“ und dem Endsieg der Alliierten nur um Haaresbreite gewonnenen haben: mit der Befreiung am 4. Mai 1945 durch die 8. Britische Armee des Feldmarschalls Montgomery – dreieinhalb Monate nach der Befreiung der Familie Steeg vom 16. März 1945 durch amerikanische Truppen. Wäre das Versteck aufgeflogen - es wäre nicht nur das Ende der Versteckten gewesen, sondern auch das der Beschützerin. Und dennoch, in dieser Kenntnis, ließ sie sich auf die Gefährdung ein.

Es ist jetzt mehr als zwanzig Jahre her, 1985, dass ich mich mit einem Team des Westdeutschen Rundfunks aufmachte, um die Dokumentation „Die Juden von Königswinter - Geschichte eines Untergangs“ zu drehen ¬angeregt durch die ebenso verdienstvollen wie bahnbrechenden Schriften des Historikers und Freunds Manfred van Rey in der Reihe „Die Juden von Königswinter in Geschichte und Gegenwart.“ Es waren unvergessliche Wochen da im Schatten des Drachenfels, mit erhebenden wie auch schrecklichen Begeg-nungen.
Ich werde nie vergessen, dass mir der katholische Ortsgeistliche Georg Kalckert während der Dreharbeiten eingestand: am meisten habe ihn, nachdem er sein geistliches Amt dort in den 70er Jahren übernommen hatte, eines gestört: das Schweigen der Königswinterer „danach“! Dass sie nicht fragten: „Wo sind sie geblieben, die Juden von Königswinter? Was ist mit ihnen geschehen, nachdem sie vertrieben oder in die Emigration verjagt worden waren? Warum sind sie nicht zurückgekommen?“ Das war es, was ihn umtrieb und ihm mehr als alles andere zugesetzt hatte. War das „Schweigen danach“ doch die schreckliche Erklärung für das „vorangegangene“, also das Schweigen während der Tatzeit... Und heute?

Hitler (und was der Name symbolisiert) ist wohl militärisch, nicht aber auch schon geistig, oder besser ungeistig, geschlagen. Wenn der Verfassungsschutz alljährlich wieder Zehntausende rechtsextrem motivierte Anschläge vermeldet, mit Tausenden von Gewalttaten aus dieser Ecke, dann kann es nur eine Schlussfolgerung geben: Dieses Deutschland des Jahres 2008 ist mit der NS-Vergangenheit nicht im Reinen! Immer noch nicht. Wer mir bei meiner Befreiung vor dreiundsechzig Jahren diesen Satz skandiert hätte, den hätte ich für verrückt erklärt.
Und dennoch ist es so. Diese uns um einen furchtbaren Preis geschenkte demokratische Republik - von allen Staatsübeln in der Menschheitsgeschichte das kleinste, um Winston Churchills „Die Demokratie ist keine gute Gesellschaftsform, aber es gibt keine bessere“ zu variieren - diese im nächsten Jahr sechzig gewordene Demokratie ist trotz ihrer erstaunlichen Stabilität keine bis in alle Ewigkeiten garantierte Sicherheit, sondern eine fortwährend von allen Seiten bedrohte Kostbarkeit. Sie gilt es zu bewahren. Ich kann mir für diesen Aufruf keinen besseren Geist erdenken, als den jener Königswinterin, die eintrat für das Leben anderer - unter Gefährdung des eigenen.

Um wie viel ungefährdeter aber sind wir, wenn wir heute im Namen der Demokratie gegen einen Ungeist vorgehen, der sie aufheben will? Wie könnten die nachgewachsenen den damaligen Generationen denn Vorwürfe wegen mangelnden Muts machen, wenn sie ihn heute nicht aufbrächten, wo sie sich von keiner Gestapo, keinen Konzentrationslagern, keiner SS bedroht sähen?
Stellen wir deshalb dem schwelenden Rassismus, den Relikten der NS-Ideologie, den Attacken des religiösen Fanatismus, gleich welcher Couleur, stellen wir ihnen unsere bürgerliche Courage entgegen, die wachsame Humanität des Alltags. Lassen Sie uns energische Widersacher sein, wo immer die Kakophonie von Fundamentalisten, unter welcher Fahne auch immer, sich misstönend vernehmen lässt. Und geloben wir Älteren, der Jugend Mut zuzusprechen und ihr zur Seite zu stehen, wo immer sie es nötig hat angesichts der Aggressivität einschüchternder Gewalttäter, die nur in Horden mutig sind.

Dieses Deutschland von heute soll, es muss wissen, dass in ihm immer noch Zeuginnen und Zeugen von damals leben, die wohl vergeben, aber nicht vergessen können. Es muss wissen, dass darunter Menschen sind, denen beim unfreiwilligen Einatmen der Auspuffschwaden im Stau des motorisierten Wohlstandsblechs unweigerlich Gedanken an die Gaswagen von Chelmno und an die Gaskammern von Auschwitz und Treblinka kommen. Menschen, die bei jeder Wunde, jeden Tropfen Bluts an Lidice, an Babi Yar, an Oradour-sur-Glane denken, und die zusammenzucken, wenn sie das ebenso begrifflos wie inflationär benutzt Wort Einsatz vernehmen ... Nachdem es doch die mobilen Mordkommandos der sogenannten Einsatzgruppen hinter der deutschen Ostfront gegeben hat, mit keinem anderen Zweck als Juden abzuschlachten.
Aber nie, niemals darf vergessen werden, dass es auch andere gab, dass Menschen lebten wie diese "Gerechte unter den Völkern".

Als Überlebender des Holocaust verneige ich mich in Ehrfurcht vor Wilma Groyen.
Ralph Giordano
 Zeitzeugenbericht von Günther Steeg
 Die Sonderausstellung "Jüdisches Leben in Königswinter" 2006/2007
 Viele Bilder und Texte zum "Jüdischen Leben" im "Brückenhofmuseum virtuell"